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Montag, 23. Februar 2015

Kandersteg - Bück Dich (M7+)

Auch wenn mein Blog dadurch von den Bots in eine komplett falsche Ecke gerückt wird: benannt ist der von uns gekletterte, grosse Mixed-Klassiker nach dem nicht ganz jugendfreien Rammstein-Song Bück Dich. Inspiriert ist dieser Name von der charakteristischen, sehr ausgesetzten Mixed-Traverse unter und über einen grossen Dach, die man durchwegs mit den Knie auf Ellenbogenhöhe klettert. Die Vögelein hatten uns von guten Bedingungen gezwitschert, und so machten wir uns erneut auf den Weg nach Kandersteg, dem Epizentrum der Schweizerischen Eis- und Mixedkletterei.

Blick auf die tolle Linie der Bück Dich im Sektor Staubbach bei Kandersteg.
Nach einer reibungslosen Anfahrt starteten wir den Zustieg um ca. 7.45 Uhr und standen eine gute halbe Stunde später unter dem Staubbach-Sektor. An diesem Tag waren wir als erste Kletterer zugegen. Ein kleines bisschen reizte es mich ehrlich gesagt, zum Aufwärmen noch den extrem begehrten Blue Magic (WI5+) anzupacken. Andererseits, wenn man sich auf eine schwere(re) Route vorbereitet und eingestellt hat, so ist es irgendwie auch komisch, dann doch zuerst woanders einzusteigen, zudem waren in der Bück Dich unsere vollen Kräfte gefragt. So machten wir uns wenige Tage nach dem letzten Mal wieder in derselben Grotte am Wandfuss der Lochroute bereit. Um ca. 8.45 Uhr startete ich mit der ersten Länge.

L1, 35m: Das letzte Mal hatte ich diese ziemlich homogen 80 Grad steile Länge mit eher wenig Eis im Nachstieg begangen und dank dem extrem strukturierten Eis keinen einzigen Pickelschlag tun müssen. Aber schon erstaunlich, wie sich das Eis innerhalb von nur wenigen Tagen verändert, obwohl an dieser Stelle kein Wasser fliesst. Es war viel glatter geworden, die Hooks waren längst nicht mehr so gut, ohne zu Schlagen zu klettern erschien mir absolut unmöglich. Genussvoll und gut abzusichern war es aber weiterhin, WI4- als Grad immer noch passend.

Yours truly unterwegs in L1 (WI4-), welche für die Lochroute und Bück Dich gemeinsam ist.
Quasi ein Pendant zu Ötzi, dieser BH am ersten Stand.
L2, 40m: Im Topo vom Hot Ice wird diese Teilstrecke als zwei Seillängen ausgewiesen, was aber (zumindest aktuell) überhaupt keinen Sinn macht. Der mittige NH-Stand ist von eher bescheidener Qualität, liegt rechts aussen abseits vom Schuss und sorgt in der Schlüsselstelle für einen wirklich ungünstigen Seilverlauf. Zudem reicht das Seil tiptop für die Verbindung, und auch Seilzug ist kein Faktor. Anyway, nach einem relativ einfachen Auftakt im Eis kommt bald das Pièce de Resistance der Route. Aus der Lochroute hatten wir hier ziemlich üble Stürze einer anderen Seilschaft beobachten können, und mit dementsprechend Respekt ging es ans Werk. Ein erster, felsiger Überhang will gemeistert sein - in gewissen Jahren geht der offenbar komplett im Eis, aktuell waren aber gegen 10m im Fels oder zumindest Mixed zu klettern. Drei Bohrhaken sichern die Stelle ab und damit sind die Abstände rein nach Adam Riese nicht sonderlich gross, aber die Sache hat es trotzdem in sich. Den ersten Bohri klippt man quasi aus dem Stehen unterhalb, dann die Geräte in einen seitlichen Riss, verdrehen und mit den Eisen auf Gegendruck, so dass man mit einem weiten Zug auf zwei kleine, wacklige aber positive Hooks kommt. Nun ist es noch ein weiter Zug zu einem grossen Plateau - dort gibt's leider keine schöne Vertiefung, aber halb im Dreck hielt die Haue dann doch... Absolutes Vertrauen in dieses mässig sitzende Gerät ist aber unabdingbar, denn schliesslich muss von hier ziemlich zwingend der nächste BH bei eher schlechten Trittmöglichkeiten geklippt werden. Ein Abgang hier wäre total ungeschmeidig, weil a) der nächste BH unter dem Überhang weiter innen steckt und man b) aufs flachere Eis darunter fällt. Anyway, der Klipp gelang, nun galt es noch dranzubleiben, um in nicht mehr so schwerem, aber dafür athletischem Gelände an passablen Hooks zu einem weiteren BH, einem guten Cam 0.75-Placement und dann ins Eis zu gelangen. Dort lassen die Schwierigkeiten rasch nach, und genüsslich erreicht man den nächsten, bequemen Stand. Mit der richtigen Beta (man kann dem Vorsteiger ideal zuschauen) ging es für mich im Nachstieg ohne grössere Schwierigkeiten. Trotzdem, M7 ist wohl die allerunterste Grenze für die hier wartenden Schwierigkeiten, ich fand diese Länge zudem auch schwerer und zwingender wie die folgenden beiden - die Stelle vom ersten zum zweiten Bolt ist sicherlich die Vorstiegscrux der Route.

Detail und BH-Platzierung in der mit M7 bewerteten L2.
Der Vorsteiger unterwegs, die heikelste Passage ist eben gemeistert.
Stilstudie des Nachsteigers im Softeis-Schild zum Stand hoch. Sieht ganz locker aus, die gepumpten Arme erkennt man nicht...
L3, 30m: Jetzt stand der berühmte Quergang und damit gemäss Topo die Crux im Grad M7+ an. Ich war fest entschlossen, hier im Vorstieg angreifen zu wollen. Einerseits schien mir diese Querung, warum auch immer, in Ferndiagnose gut machbar. Andererseits vermutete ich, dass es wohl im Nachstieg auch nicht unbedingt angenehmer sein würde, was sich dann in der Praxis durchaus bestätigte. Also ging es los: der Beginn ist noch human, an einem schönen Mocken Eis klettert man zum Beginn des berühmt-berüchtigten Dachquergangs hin. Die letzte Schraube platziert gilt es nun ernst, nun sitzen nur noch 2 nach oben eingeschlagene NH als Sicherung für den Quergang. Dessen Schwierigkeiten hängen natürlich arg von der Eismenge, dessen Qualität und nicht zuletzt auch von der Körpergrösse ab. In gebückter Haltung arbeitet man sich nach rechts, die Ellenbogen sind meist auf Kniehöhe wenn nicht noch tiefer, was natürlich das Einschlagen der Pickel jetzt auch nicht unbedingt vereinfacht. Weil jedoch dafür generell eh nicht üppig Eis vorhanden war, schien es sowieso gescheiter die vorhandenen Strukturen zum Hooken zu nutzen. Antreten konnte man meistens im Eis, nur zwischendurch musste mit den Eisen zwingend auf dem plattigen Fels gekratzt werden. Immerhin ist der psychische Anspruch hier vorerst nicht allzu gross, dank den NH im Dach oberhalb fühlt man sich beinahe wie im Toprope, über die Qualität der Sicherungen verlieren wir hier jetzt lieber mal keinen weiteren Gedanken. Nach der Hälfte des Quergangs ändert das dann: man steigt nach rechts hinaus und es kommt keine Sicherungsmöglichkeit mehr. Plötzlich wurde mir gewahr, dass nur noch eine Möglichkeit blieb, nämlich die Flucht nach vorne. Ein Placement war keines mehr vorhanden und ich spürte, wie meine Kräfte im Schwinden begriffen waren. Hier ewig an einer Sicherung rumzufummeln war keine Option. Das Weiterklettern ging aber gut, zuletzt konnte ich dann sogar nochmal einen Cam der Grösse 0.4 in einen Riss stopfen, um die letzten und etwas einfacheren Meter zum Stand abzusichern. Total gepumpt und voller Adrenalin kam ich dort an. Wow, welch ein Erlebnis! Das war jetzt echt einer der eindrücklichsten und bewegendsten Vorstiege in meinem bisherigen Kletterleben gewesen. M7+ an Trad Gear, kaum zu fassen!

Auf geht's! Am Eindrehen der letzten Schraube, bevor es mit dem Quergang (M7+) ernst gilt.

Die kurze Felspassage gemeistert und mit dem zweiten NH die letzte fixe Sicherung geklippt.

Die super exponierte Position am Ende des Dachs. Nun einfach ja durchziehen und nicht stürzen...

Die typische und charakteristische Position für diesen Quergang. Nachhaltiger Muskelkater ist garantiert!

Trotz Eis und Kälte total durchgeschwitzt aber total happy am Stand. Das war jetzt echt sowas von genial!

Schlusspassage zum Stand hin, kaum zu glauben, dass ich das vorgestiegen bin!
L4, 60m: Zum Zurücklehnen war es aber noch zu früh, es wartet eine weitere, überhängende Felspassage, bevor es erst über einen Eisvorhang hinweggeht, um dann in reiner Eiskletterei über das grosse Schild den Ausstieg zu erreichen. Gut, dass hier der Vorsteiger durchaus eine Weile beschäftigt ist, so konnte ich mich etwas erholen, bevor es wieder ernst galt. Ohne Sicht- oder Rufkontakt erfolgt der Aufbruch, aufgrund der langen Seillänge und damit verbundenen Seildehnung würde ein Nachsteiger-Sturz hier auch mehrere Meter in die Tiefe führen, so dass man danach im sicher Leeren baumelt. Somit muss hier auch der Nachsteiger zwingend etwas Können und Psyche aufweisen. Mir gelang's, die Ropeman am Gurt konnten ungenutzt bleiben, die Kletterei entpuppte sich als einfacher wie zuerst befürchtet. Das Terrain ist wohl steil, aber der Fels ziemlich grossblockig und strukturiert, was natürlich das Fortkommen entsprechend erleichtert. Teilweise klettert es sich nach meinem Geschmack in diesem grossgriffigen Gestein mit den Händen sogar einfacher wie mit den Geräten. Die M7-Stelle ist mit 2 NH und je einem Fixkeil und -cam ganz ordentlich gesichert, selber nachlegen kann auch noch wer will. Allerdings sei noch erwähnt, dass die Felsqualität hier nicht über jeden Zweifel erhaben ist, einer der Blöcke wackelte jedenfalls bedenklich - hielt aber dem alternativlosen Rupfen daran dennoch Stand. Aus dem schweren Fels geht's dann direkt im Eis über den Vorhang hinweg, diese Passage ist etwas athletisch und da man aus Sicherheitsgründen erst nicht schrauben kann/sollte, auch etwas kühn. Hat man dann die ersten Meter im Eis gemeistert, so lässt es sich aber prima schrauben und man kann genüsslich im anhaltend steilen WI4+ Gelände weitercruisen, bis man kurz vor Seil aus den BH-Stand am Ende des Eisschildes erreicht.

Auftakt in die 60m lange L4, erst mit einer weiteren Passage M7, danach Eiskletterei ungefähr im Grad WI4+.
Am Stück geklettert leider nicht sehr fotogen, für diese Stilstudie beim letzten Pickelschlag reicht's gerade noch.
Glücklich gratulieren wir uns zur Begehung dieser sehr eindrücklichen Route. Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte ich es mir kaum träumen lassen, überhaupt in eine solche Linie einzusteigen, geschweige denn darin auch noch eine vernünftige Vorstiegs-Figur abzugeben. Aber der eigene Horizont lässt sich eben doch immer wieder verschieben, wenn man entsprechend will, daran glaubt und daran arbeitet. So, nun aber genug der Philosophie. Mit einem 60m-Abseiler reicht es direkt runter, vorbei an den bedrohlich hängenden Zapfen, an den Stand der Lochroute. Es ist jener, wo ein Bohrhaken gefährlich in einer hohlen Schuppe steckte. Die Schuppe wurde aber aus Gründen der Sicherheit entfernt und liegt nun schön handlich auf dem Band unterhalb. Wie man sehen kann, steckte der ca. 5cm lange BH in einer ziemlich exakt solch dicken Schuppe, die offensichtlich auch nicht mehr hielt als sie versprach. Demzufolge hat man an dieser Stelle zum Abseilen aktuell nur noch einen einzigen Bohrhaken zur Verfügung. Anyway, dieser Haken hielt, und so reichte es mit einem weiteren, gestreckten Abseiler retour ins etwas höher gelegene Gelände ob dem Einstieg.

Dort wo sich der Hundekopf befindet, steckte einst der zweite Standbohrhaken...
Hier nützt er zwar nicht mehr viel, richtet aber auch kein Unheil mehr an. Die Schuppe hätte beinahe im Hosensack Platz...
Es war zwar noch nicht allzu spät, aber wir waren gut bedient, das gesteckte Ziel war erreicht. Allerdings konnte ich bereits jetzt fühlen zu welchem Preis, sowohl mein Bizeps, meine Rumpfmuskulatur wie auch auch meine Beine waren arg ausgepumpt. Dieser Art der Kletterei, in diesen Schwierigkeiten ist für mich jedenfalls unglaublich intensiv. Ich will nicht bestreiten, dass bessere Kletterer locker durch die Bück Dich spazieren und es an meiner mangelnden Technik und deren Kompensation durch übermässigen Krafteinsatz liegt. Aber alles zu geben was man hat ist auch toll. Obwohl es rein zeitlich noch möglich gewesen wäre, sahen wir davon ab, noch in eine weitere Route einzusteigen. Im Blue Magic bewarfen sich wieder mindestens ein halbes Dutzend Seilschaften gegenseitig mit Eiswürfeln und Eisgeräten, und auch im Oeschiwald schien jede Route besetzt zu sein. So tuckerten wir zeitig nach Hause und konnten so auch noch die Familie und den Arbeitgeber glücklich machen. Dass schon bald darauf ein weiteres Mixed-Highlight auf dem Programm stehen könnte, zeichnete sich bereits an unseren Diskussionen auf dem Heimweg ab. Indessen hiess es, sich gut zu erholen und für den nächsten Klettertag bereit zu sein.

Die Abseilerei ist an Luftigkeit auch kaum zu überbieten und an diesen Daggern vorbei auch super eindrücklich!


Facts

Kandersteg - Bück Dich - ED IV M7+ - 4-5 SL, 165m - Stofer/Duthiers 2001 - *****
Material: 10 Schrauben, Keile 4-9, Camalots 0.3-1, 2x60m-Seile zum Abseilen praktisch

Genialer Mixed-Klassiker im berühmten Staubbach-Sektor ob Kandersteg. Die Kletterei ist anhaltend interessant, mit abwechslungsreicher Eiskletterei und eindrücklichen Mixed-Passagen, wobei der berühmte Dach-Quergang der Sache die Krone aufsetzt. Wäre die Route noch ein wenig länger, so würde man sie wohl zu den allerbesten dieses Genres und Schwierigkeit zählen. Während die Standplätze durchgehend gebohrt sind, stecken sonst nur noch in der ersten Mixed-Länge drei Bohrhaken. Doch auch der Rest ist mit fixem Trad Gear, Eigeninitiative und Schrauben gut absicherbar. Objektive Gefahren drohen keine, und die Gefahr durch hängende Zapfen und Eisschilder ist überschaubar, wenn auch nicht null. Insgesamt eine sichere und zugängliche Route, welche einen guten Einstieg ins fortgeschrittene Mixed- und Eisklettern erlaubt, dabei aber noch nicht die Ernsthaftigkeit der ganz grossen (Breitwangflue-)Linien besitzt.

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